Menschenrechtsverletzung - Moderne Sklaverei
München, 09.10.2018
„Einer der wichtigsten Filme des Jahres: A WOMAN CAPTURED“, lasen wir auf Facebook. Die Nachricht schrieb nicht irgendjemand. Der Tipp kam aus Münchens Turan, Ludwig Sporrer; dem Mann, der mindestens 2.500 Filme gesehen hat. Ein Grund, die geplante Redaktionssitzung platzen zu lassen und uns sofort auf den Weg ins Kino Monopol zu machen.
Eine gefangene Frau
Drei Frauen, ein Geheimnis, ein Traum, eine Kamera und eine Wahrheit. Eine bittere Wahrheit. Hier, bei Bernadett Tuza-Ritters Dokumentarfilm ist alles schockierend echt. Nur Marish, der Name der Protagonistin nicht. Den hat ihre Hausherrin erfunden. Eine Sadistin, die die Ausweispapiere von Marish konfisziert, sie in ihrem Haus einsperrt und den ganzen Tag schuften lässt. Ohne Geld. Ohne Essen. Wenn die 52-jährige müde von der täglichen Ausbeutung, Erniedrigung, Entwürdigung und der Schlägerei ist, darf sie rauchen und auf einem Sofa schlafen. Dort träumt die Frau mit den tiefen Gesichtsfalten von ihrer fast verlorenen Tochter. Und vor dem Tag, an dem sie wieder ein freier Mensch ist -zumindest ein Mensch.
Europa, Deine Schattenseite
Das Drama von Marish geschieht jeden Tag vor unseren Augen und wird unter der Nase ihrer Folterin, die keinerlei Reue zeigt, gefilmt. Doch Marish ist kein Einzelfall. Weltweit können 45,8 Millionen Menschen nicht frei über ihr Leben entscheiden. Jeden Tag werden Menschen zur Arbeit gezwungen, ausgebeutet, vermietet und verkauft. Im ‘Tatort’ Ungarn werden derzeit 22.500 Menschen versklavt. Europaweit gibt es momentan 1,2 Millionen moderne Sklaven und laut The Global Slavery Index 15.500 in Deutschland, dem reichen Land mit 48 Milliarden Euro Überschuss.
Letzteres wurde mit schockierenden Fakten auch von den Podiumsteilnehmerinnen im Anschluss an das Screening bestätigt. Zu Gast v.l.n.r. Juliane Krause (Terre des Femmes), Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel (DIE GRÜNEN), Christiane Kern (Vorsitzende der DGB Frauen München), Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter. Moderiert hat Ludwig Sporrer (DOK.fest München).
Marish schafft es, die Flucht zu ergreifen und in die Freiheit zu fliehen
Bernadett erschafft ein Meisterwerk
Normalerweise wirkt die Kamera auf Menschen abschreckend. Vor ihr zögern sich die meisten, etwas Privates preiszugeben. Doch zwischen Marish und der Regisseurin läuft es anders. Die Frau, die 10 Jahre um Freiheit und Würde kämpft, fasst während der zweijährigen Filmarbeiten Vertrauen. Jetzt ist sie nicht mehr allein. Die Kamera ist stets bei ihr. Hinter ihr steht die kreative Dokumentar-Filmemacherin Bernadett Tuza-Ritter. Sie spricht mit Marish, sie leidet mit ihr. Sie vergisst, dass sie die Regisseurin ist. Wenn sie mit ihr redet, ist sie ein sensibler Mensch, der ihr sogar während des Filmens beim Nähen hilft. „Ich bin stark! Glaub mir. Ich brauche nur jemanden an meiner Seite“ sagt die vom Schicksal getroffene Ungarin ihrer Vertrauensperson. Ihr Geheimnis enthüllt sie nur ihr.
Was die Regisseurin damit erreichen wollte? Sie selbst erzählt: „Ich glaube [diese Geschichte] wird den Zuschauern helfen, das Konzept häuslicher Sklaverei zu verstehen, und mein Film soll ihnen für die Existenz dieses gravierenden sozialen Missstands die Augen öffnen. (…) Marishs Geschichte zeichnet das verstörende Bild einer Gesellschaft, die sich ihrer Werte unsicher ist, in der Menschenwürde leicht zu einer Ware verkommt.
Sie gibt uns aber auch Hoffnung, weil sie zeigt, dass wenn Menschen einander Aufmerksamkeit schenken, dies Leben retten kann. Vor allem aber ist A WOMAN CAPTURED – EINE GEFANGENE FRAU die Geschichte einer Ermächtigung, es ist die Geschichte einer Frau, die ein großes Risiko eingeht, flieht und die schrecklichen Dinge, die ihr widerfahren sind, hinter sich lässt“. (Partisan Filmverleih, Berlin).
Es ist letztendlich der freischaffenden Regisseurin Bernadett gelungen, aus Marish etwas Besonderes zu machen. Aus dem Opfer wird eine gegenwärtige Heldin; eine moderne, weibliche Frederick Douglass. Der Vergleich macht dennoch alles finsterer, als es bereits ist. Es war nämlich das Jahr 1838, als es dem Abolitionisten gelang, sich damals aus der Sklaverei zu befreien. Für die Frau aus dem benachbarten Ungarn kam die Freiheit im Jahr 2017. Nach so vielen Jahren bleibt sowohl das Phänomen als auch der Kampf gegen die Verletzung der Menschenwürde weiterhin aktuell. Leider.
Text: Johanna Panagiotou alias Victoria Mali, Herausgeberin & Produzentin
Fotos: Cyclist of the World (Grigoris Veriotis), Erlebnisjournalist & Regisseur
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