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Writer's pictureV. Mali / J. Panagiotou

MÜNCHEN: Weiblicher, Sozialer, Menschlicher

Updated: Jul 1, 2020

8. März 2020: München, Dein Stadtrat! Wo waren, wo sind Deine Frauen?

Marienplatz in Munich, photo by Victoria Mali
Marienplatz in Munich, photo by Victoria Mali
Der 8. März ist möglicherweise der am meisten missverstandene Feiertag – und zwar weltweit. Klar geht es anderen Feiern wie etwa Weihnachten und Ostern im Rahmen eines unkontrollierten Konsums unter kapitalistischer Vergesellschaftung ähnlich. Hier wird aber mindestens erwähnt, was ursprünglich Anlass dafür war. Nichtsdestotrotz gab es in ganz München − neben Pralinen, Blumen und Drogerie-Gutscheinen − bedeutende Events im Sinne des FrauenKAMPFtages, deren Veranstalterinnen pflichtbewusst den tatsächlichen Inhalt betonten. Die Veranstaltung „München, Dein Stadtrat! Wo waren, wo sind Deine Frauen?“ am 08.03.20 im Roten Salon des Glockenspiel Cafés war eine davon.
Foto: Victoria Mali
Foto: Victoria Mali

Die Veranstalterin Dr. Corina Toledo, promovierte Politikwissenschaftlerin und Ökofeministin, zeigte sich äußerst zufrieden mit der Beteiligung, zumal am selben Tag und in derselben Uhrzeit trotz Corona-Krise überall in der bayerischen Metropole zahlreiche Veranstaltungen parallel stattfanden. Im Namen von Frau-Kunst-Politik eröffneter sie die Podiumsdiskussion und begrüßte die Teilnehmer_ innen (darunter auch eine Handvoll Männer) herzlich und euphorisch:

Dr. Corina Toledo, promovierte Politikwissenschaftlerin und Ökofeminstin
Dr. Corina Toledo, promovierte Politikwissenschaftlerin

Ich bin froh und stolz darauf, dass wir uns ganz bewusst und mit aller Kraft und Energie dafür einsetzen, dass nicht nur irgendwelche Frauen in die Politik gehen, sondern ökofeministische Frauenrechtlerinnen.

Frauen also, denen es bewusst ist, dass fundamentale Veränderungen auf allen Ebenen real existierender frauenfeindlichen und naturverachtenden System so schnell wie möglich herbeigeführt werden müssen, um das Biozid zu stoppen: die Vernichtung alles Lebendigen.


Und wir können die Beendigung der destruktiven Entwicklung nur erreichen, wenn es genügende Männer gibt, die bereit sind zu lernen, wahrzunehmen, dass sie dadurch viel zu gewinnen haben. Diesen einen Beitrag müssen sie auch leisten, damit sie eine bessere emotionale, psychologische, spirituelle und körperliche Lebensqualität bekommen. Mädchen und Frauen haben dagegen viel zu verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, Synergien effektiv zu bündeln.


Ohne weltweite Solidarität werden Frauen es nicht schaffen, diese existenziellen Veränderungen durchzusetzen. Dazu müssen wir uns gegenseitig respektieren, unterstützen und uns austauschen. Ferner sollten wir Defizite sichtbar machen wie auch Errungenschaften und Erfolge deutlich feiern. Deshalb motivieren wir alle Personen, sich für ein Leben in Würde und Frieden laut einzusetzen, nicht nur am 8. März, sondern an allen anderen Tagen ebenso.


Dr. Toledos überschwängliche Freude und Begeisterung teilte mit dem Publikum auch die Mitveranstalterin Johanna Panagiotou, die in der Literaturszene unter dem Autorenname Victoria Mali bekannt ist. Die Nachwuchswissenschaftlerin im Bereich „Frauen, Macht und Politik in der Nachkriegszeit und in der Entstehungsphase des Kalten Kriegs“ beschränkte sich auf einen Rückblick in die Geschichte. Ein Auszug aus der freien Rede der angehenden Kulturhistorikerin:

Panagiotou-Mali, Kulturhistorikerin & Biographin

Verehrtes Publikum, es ist kein Zufall, dass wir uns hier, heute und genau um die Uhrzeit (16:00) im Herzen Münchens, am Marienplatz, kurz vor den Kommunalwahlen versammelt haben. Gerne erinnere ich Sie daran, dass vor genau 75 Jahren (30.04.1945) der Einmarsch der Amerikaner und die damit verbundene Beendigung des 2en Weltkrieges und der Befreiung der Stadt hier, wo wir uns gerade befinden, stattfand. Kurz darauf wurde die bayerische Metropole ohne große Hindernisse und mit bedeutungslosen SS-Widerstandsaktionen in Pasing und in Freimann kampflos besetzt. Dem zwölfjährigen NS-Terror folgt die US-Militarisierung Deutschlands. In diesem Rahmen übergab noch am selben Tag der städtische Oberrechtsrat Dr. Michael Meister der 7en amerikanischen Armee das Rathaus einer von 71 Luftangriffen deutlich zerstörten Stadt.


Während München in dieser schwierigen Trümmerzeit die schreckende NS-Vergangenheit zu überwinden versuchte und den Weg zur Demokratie einschlug, trat der erste, provisorische und männerdominierende Zusammenschlusses von Stadträten am 01.08.1945 zusammen; am 30.05.1948 fanden die ersten Kommunalwahlen – die parteipolitische Organisation wurde in der sowjetischen Besatzungszone bereits am 10.06.1945 genehmigt. In diesem Rahmen wurde Karl Scharnagl zum Oberbürgermeister einer Stadt, die der »unconditional surrender« und der damit verbundenen vollständigen Verwaltungskontrolle der Siegermächte unterlag, ernannt. Und obwohl Frauen in Überzahl, im Stadtrat und im Landtag − kaum anwesend und in Parteien sowie politischen Ausschüssen unterrepräsentiert waren, nahmen sie ihre Rolle trotz enormen Schwierigkeiten als »Re-educator« in zahlreichen Frauenorganisationen ernst und erbrachten eine bewundernswerte Leistung.


Sie organisierten sich etwa im seit 1894 von Anita Augspurg gegründeten „Münchner Verein für Fraueninteressen e.V.“ (Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau), in der seit 1915 gegründeten „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ oder in der 1951 gegründeten Dachorganisation „Informationsdienst für Frauenfragen“, die in München „Arbeitsgemeinschaft der Arbeiterinnen“ hieß. Vom damaligen politischen Spektrum waren für Frauen auch nicht bedeutungslose antifaschistische Gruppierungen anziehend wie die widerstandskämpferische „Freiheitsaktion Bayern“, die die Amerikaner verboten sowie die antifaschistischen Ausschüsse (Antifa), die wegen Interessenunterschieden und der Angst der etablierten Parteien vor einer kommunistischen Unterwanderung scheiterte. Scheitern musste auch die von der Würzburger Journalistin Ulla Illing erste bayerische Frauenpartei „Soziale Frauenpartei“ – trotz begeisterter Zustimmung. Unter diesen Umständen konnten sich in der politischen Landschaft Bayerns, neben Ulla Illing, Politikerinnen wie Maria Probst, Rosa Hillebrand, oder Zita Zehner in diesem männerdominierten Beruf etablieren.


Nichtsdestotrotz würde ich gerne diesen Tag zwei Gruppen von Frauen aus dem Jahr 1910 und 1911 widmen: Frauen wie Clara Zetkin, die Pionierarbeit leisteten und am auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27.08.1910 in Kopenhagen die Einführung eines internationalen Frauentages vorschlugen und Frauen wie Helen Todd und Rose Schneiderman, die 1911 die Streikparole 'Bread and Roses' ins Leben riefen. Vergessen darf man an dem Tag keinesfalls auch die 140 Migrantinnen (überwiegend italienischer und jüdischer Herkunft), die ihr Leben am 25.03.1911 in der 'Triangle Fire' Tragödie in New York verloren.

"Clara Zetkin- The German Marxist politician was one of the figures behind the first International Women’s Day in 1911". Found in: thevintagenews.com
"Clara Zetkin- The German Marxist politician was one of the figures behind the first International Women’s Day in 1911". Found in: thevintagenews.com

Nachdem die Gelegenheit im Rahmen dieser Einführung ergriffen wurde, in die Geschichte unserer Stadt und in unbekannte historische Ereignisse − weit weg vom Bild der »Trümmerfrauen« − einzutauchen, nahmen die Kandidatinnen das Wort. Zuerst sprach die erfahrene Politikerin Claudia Stamm, die vom 2009 bis zu ihrem Austritt aus der Partei im März 2017 Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag war und bis Oktober 2018 dieses Mandat als fraktionsloses Mitglied wahrnahm. Vor drei Jahren gründete sie die bayerische Partei MUT und kandidierte hiermit am 15.03.2020 für einen Platz in den Stadtrat – leider ohne den Erfolg, den ihr viele Frauen, die an dem Tag präsent waren, wünschten. Die gesellschaftspolitisch interessierten Bürger_ innen durften nämlich die klaren Worte der Politikerin in verschiedenen, kurz zuvor stattgefundenen Aktionen gegen Frauengewalt bewundern. Stolz kann sie auch darauf sein, dass es ihre Kolleg_ innen im Landshuter Stadtrat geschafft haben. In der Veranstaltung im Roten Salon sprach wie ebenfalls Klartext. Unter anderem betonte sie:

Unter dem Eindruck jüngster Fortschritte denkt man fälschlicherweise, dass es die weiblichen Politikerinnen im Gegensatz zu anderen, früheren Zeiten, einfacher haben. Nein! Es ist nicht so. Dazu muss man berücksichtigen, dass der nicht zu unterschätzende Einsatz von sehr konservativen und neoliberalen Parteien das Ganze schwieriger macht. Wir, als MUT, legen dagegen großen Wert auf eine vielfältige, feministische, diverse und quotierte Liste. Die ersten drei Plätze sind mit Frauen besetzt; auf den ersten 10 Plätzen kandidieren Menschen mit Migrationsgeschichte, Behinderung und eine eigene völlig akzeptable sexuelle Identität und Orientierung. Man muss also nicht nur fordern, sondern alles konsequent leben und erleben.

Was ich nach einer langjährigen politischen Erfahrung betonen will, ist, dass Frauenpolitik nicht Familienpolitik ist, und umgekehrt, wie es beispielsweise im Fall der Förderung nach mehr KITA ist. Apropos KITA: In diesem Rahmen wäre eine gendergerechte frühkindliche Erziehung als Antipode zu Rollenstereotypen, die schon den Kindergartenalter prägen, sinnvoll. Darüber hinaus fordern wir eine gendergerechte Verwaltungssprache und mehr Frauenhäuser. Der Schutz dieser Frauen vor Gewalt sollte normalerweise vom Bund übernommen und nicht als kommunale Aufgabe verstanden werden. Nichtsdestotrotz muss es zu unseren Prioritäten zählen. Scharf kritisieren wir als Partei auch die Initiative mit dem Ruf-Taxi; es muss noch viel mehr in diesem Bereich getan werden.


Ein Bereich, in dem man neben Gewalt gegen Frauen auf jeden Fall mehr aktiv sein muss, ist auf jeden Fall die weibliche Vergütung. Es kann nicht sein, dass sich in einem prosperierten Land wie Deutschland die sogenannte Care-Arbeit (Pflege- und Reproduktionsarbeit) auf Milliarden Euro beläuft. Der Gender Pay Gap (geschlechtsspezifische Einkommenslücke) müsste ebenfalls schnellstmöglich bekämpft werden. Ich kann mich noch heute daran erinnern, wie ein ehemaliger Chef auf mich schimpfte, als er herausfand, dass ich mit meinen männlichen Kollegen unseren Lohn verglich. Seitdem hat sich nicht vieles geändert. Genauso wenig hat sich etwas im Bereich „Legitimationszwang“ der weiblichen Politikerinnen getan. Als Abgeordnete wurde ich genauso wie meine Mutter Barbara Stamm (CSU) in den 1980er Jahren mit der gleichen Frage konfrontiert: „Wo sind denn Deine Kinder“? Sie verlangten von mir, wie von meiner Mutter vor so vielen Jahren, zu beweisen, dass wir sowohl für die Politik als auch für die mütterliche Rolle geeignet sind. Und beides mussten wir stets beweisen.


Last but not least, müssen wir noch kämpfen, dass Frauen präsenter, sichtbarer, aktiver werden. Wir engagieren uns für mehr Aufsichtsräterinnen und Geschäftsführerinnen in wichtigen Münchner Unternehmen, die immer noch männerdominiert sind. Aber auch die Ausschüsse im Stadtrat werden meistens von Männern geleitet. Das muss sich dringend ändern.

v.l.n.r.: Claudia Stamm, Marie-Jules Mpot Mimbang, Johanna Panagiotou Victoria Mali, Dr. Corina Toledo
v.l.n.r.: Claudia Stamm, Marie-Jules Mpot Mimbang, Johanna Panagiotou Victoria Mali, Dr. Corina Toledo

Als nächste durfte Marie-Jules Mpot Mimbang sprechen, die gemeinsam mit anderen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte vor fünf Monaten die Wählergruppe Zusammen Bayern (ZuBa) ins Leben gerufen hat, die trotz Bemühungen (siehe Sammlung von tausend Unterschriften für die Zulassung zu den Kommunalwahlen) auch nicht den Einzug in den Stadtrat schaffte. Der a dato ehrenamtliche Stadtrat Çetin Oraner, der die Initiative gegründet hat, begründete die Notwendigkeit der Gründung wie folgt: Wir haben ein essentielles Problem, das der gleichberechtigten politischen Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die von allen etablierten Parteien ignoriert werden hervorgehoben und es geschafft im Wahlkampf in die öffentliche Debatte hineinzutragen. Diesem fatalen Widerspruch wollten wir als ZuBa entgegentreten. Wir wollten nicht spalten, sondern auf die Spaltung bzw. die Diskriminierung innerhalb der Parteien aufmerksam machen. Weil wir der Überzeugung sind, dass die Ausgrenzung oder Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Stadtpolitik ein Gradmesser dafür ist wie mit sozial benachteiligten Menschen und auch z.B. mit Frauen umgegangen wird. Keines der grundlegenden sozialen Probleme die eine gesellschaftliche Umgestaltung erfordert, können ohne die gleichberechtigte politische Beteiligung dieser gesellschaftlichen Gruppen gelöst werden.

Es war also von Anfang an klar, dass diese Wählergruppe für feministische Impulse sorgen würde. Hier fühlte sich Frau Mpot Mimbang sofort Zuhause, zumal sie aus einer sehr bekannten feministischen Familie aus Kamerun kommt. Auch eine kamerunische Straße wurde nach ihrer Urgroßmutter benannt. In der interkulturellen Gruppe ZuBa fühlte sich die in Mailand aufgewachsene und dort studierte Politologin von Anfang an wohl und kämpfte für eine soziale, ökologische, interkulturelle und feministische Stadtgesellschaft gegen Rassismus und Faschismus und verteidigte in vielen deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Podiumsdiskussionen die Lösungsansätze des Wahlprogrammes.


Auch auf der Podiumsdiskussion am 08.03.20 betonte die zweifache Mutter die Schwierigkeiten, mit denen eine Frau, die ganz neu in München ohne die erforderlichen Deutschkenntnisse, konfrontiert ist; etwa in der Jobsuche. Auch die Hausaufgabenbetreuung, die meistens die Mütter – und nicht die Väter – übernehmen, ist es in dem sehr schwierigen bayerischen Schulsystem ist kein Kinderspiel. Diese Frauen wollte sie ermutigen und ihnen helfen. Für den Stadtrat hat es nicht gereicht, der Kampf geht sozusagen außerparlamentarisch weiter.


Wenn man das Rad der Geschichte zurückdreht, lässt sich feststellen, dass in historischen Höhepunkten fast immer Männer am Steuer saßen. Dabei war die weibliche Mitwirkung jedes Mal entscheidend. Diese wurde aber nie besonders anerkannt. Grund dafür ist die jahrhundertealte, verankert im Westen, patriarchalische Kultur. Nicht zu vergessen, dass die Frau in Westdeutschland bis vor 50 Jahren die Zustimmung des Mannes brauchte, wenn sie arbeiten wollte. Geschweige denn, dass die Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 keine Straftat war. Seitdem hat sich freilich Vieles getan. Doch das ist, wie aus der Podiumsdiskussion hervorgeht, noch längt kein Grund, sich mit kleinen Fortschritten zu begnügen. Der Kampf geht weiter: auf den Straßen, auf dem Arbeitsplatz, auf männerdominerten Bereichen. Dieser Kampf ist kein einfacher, aber er ist durchaus gerecht. Wer für Frauenrechte kämpft, kämpft für mehr Gerechtigkeit.

 

PS: Eingeladen war auch die Kandidatin Marina Dietweger aus der Partei DIE LINKE, die nicht auf die Einladung reagierte.


Vorgeschlagene Literatur:

- Prinz, Friedrich; Krauss, Marita. (1984). Trümmerzeit in München: Kultur und Gesellschaft einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945-1949. München: C.H. Beck.

- Fleschhut, Elisabeth. (1997). „Ich als Frau und Abgeordnete…!“. Untersuchung der politischen Karriere, der parlamentarischen Arbeit und des politischen Selbstverständnisses der weiblichen Abgeordneten im Bayerischen Landtag der Nachkriegszeit (1946-1958). München: Bayerischer Landtag, Landtagsamt.


 

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