Simple Frage − unbequeme Antworten
Während München im Weihnachtslicht erstrahlte, gingen im Thalkirchener Protonenzentrum die Lichter aus. Mitte Dezember wurden im Rinecker Protonen Therapie Center (RPTC) die letzten Patienten bestrahlt. Für viele Menschen mit lebensbedrohlichen Tumoren, vor allem Kinder, wird damit der Zugang zu einer der effektivsten Krebsbehandlungsmethoden noch komplizierter. Diese schonende Behandlungsmethode wird nur noch in Heidelberg, Marburg, Dresden und Essen angeboten.
Das im Jahr 2009 vom Münchner Chirurgen PD Dr. med. Hans Rinecker gegründete Protonentherapiezentrum muss nun zusperren. Das passiert gerade zu einem Zeitpunkt, wo sich die Protonentherapie sehr dynamisch entwickelt. Derzeit werden über 70 Protonenzentren weltweit betrieben; die Zahl wird in den nächsten Jahren weitersteigen.
In diesem Rahmen haben wir (Ethno Arts & Health) die Initiative zur Erhaltung eines Protonentherapiezentrums im Herzen Bayerns gestartet. Die damit verbundene Petition hat a dato ca. 4.300 Unterschriften (2.600 davon aus Bayern) und ca. 1.300 sehr positive Kommentare erreicht. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dadurch sowie durch einige Presseberichte die breite Öffentlichkeit sensibilisiert werden konnte.
Dabei handelt es sich um eine vielversprechende Therapie, die von Experten hochgeschätzt wird. Laut der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie "kann die Protonentherapie bösartiger Tumoren zu einer weiteren Verbesserung der Therapieergebnisse in der Radioonkologie beitragen", so die Stellungnahme der DEGRO (Stand: Juni 2019).
Durch die Protonentherapie wird nämlich in der Regel weniger gesundes Körpergewebe bestrahlt und das hat für die Patienten in der Regel weniger Nebenwirkungen und ermöglicht bessere Lebensqualität. Bei Kindern könnte das Risiko von sogenannten Sekundärmalignomen erheblich gesenkt werden.
Für spezielle Tumoren, die eine hohe Bestrahlungsdosis benötigen und in der Nähe von empfindlichen Organen liegen, wurden durch die Protonentherapie erheblich bessere Heilungsraten erreicht.
So weit, so gut. Doch warum muss ein Krebstherapiezentrum mit dieser innovativen Technologie im Herzen Bayerns schließen?
Weil "die notwendige Patientenzahl für einen kostendeckenden Betrieb der Anlage nicht erreicht werden konnte", meint Rechtsanwalt Dr. jur. Michael Jaffé, der vor zwei Jahren die Insolvenzverwaltung übernahm.
Dass die Führungsriege des RPTC Fehler in der Kommunikation und im kollegialen Umgang begangen hat und das Zentrum in die lokale und bayerische Klinikstruktur nicht einbetten konnte, dürfte laut dem Schreiben des Chefarztes Dr. med. Ronald Richter an die SZ einer der wichtigsten Gründe sein.
Doch, wie geht es nun weiter? Was passiert, wenn sich kein neuer Investor meldet? Braucht Bayern tatsächlich kein Protonentherapiezentrum?
Anders als in europäischen Nachbarländern, in denen die bedarfsgerechte Etablierung und die Finanzierung der Protonentherapie als nationale Aufgabe angesehen wird, hat sich die bayerische Politik niemals ernsthaft um ein nachhaltiges Konzept bemüht, sondern die Protonentherapie der Privatinitiative und den Regeln der "freien" Marktwirtschaft überlassen.
Einige Beispiele:
In den Niederlanden, einem Land mit 17 Millionen Einwohnern hat man für die Protonentherapie Kapazitäten für 2,200 Patienten pro Jahr geschaffen. Das entspricht 4.4% der Krebspatienten in den Niederlanden, die eine Strahlentherapie brauchen. In Dänemark gehen die Experten davon aus, dass 10-15% der Patienten, die eine Strahlentherapie brauchen potentiell von einer Protonentherapie profitieren können. In Bayern werden ca. 70.000 Krebsneuerkrankungen pro Jahr registriert. Etwa die Hälfte dieser Krebspatienten braucht eine Strahlentherapie. Demnach könnte die Protonentherapie bei 1.500-5.000 Patienten pro Jahr zumindest in Betracht gezogen werden. Bisher waren es weit weniger als 100 Patienten aus Bayern, die jedes Jahr Zugang zu dieser Therapie hatten, trotz der gesicherten Kostenübernahme durch die AOK Bayern und einer privaten Krankenversicherung.
Worauf ist dies zurückzuführen? Mangelndes Vertrauen seitens der Patienten? Ablehnung seitens der zuweisenden Krankenhäuser, unter anderem der beiden Universitätsklinika und der städtischen Kliniken Münchens? Wirtschaftliche Interessen und Konkurrenzdruck? Oder eher eine Kombination von allen, so wie es eben in der sogenannten freien Gesundheitswirtschaft ist?
Eins ist auf jeden Fall sicher: Die Protonentherapie ist ein brisantes gesellschaftspolitisches Thema und sollte keineswegs den privatwirtschaftlichen Mechanismen überlassen, denn sie haben in diesem Fall definitiv versagt.
Der Insolvenzverwalter habe "nichts unversucht gelassen, um einen geeigneten Übernehmer für das RPTC zu finden" und "steht auch heute mit keinem Investor in Verhandlungen", so Dr. Jafeé.
Durch die Schließung des RPTC wird jedoch hingenommen, dass vielen Patienten der Zugang zu einer der derzeit erfolgsversprechenden Krebsbehandlungen noch weiter erschwert oder gesperrt wird. Und die Akteure der Gesundheitspolitik schauen einfach nur zu. Die Regeln des Insolvenzrechts und der Investoren scheinen ihnen wichtiger zu sein, als das Leben und die Lebensqualität von einigen tausend Krebspatienten.
Die Bürgerinnen und Bürger haben jedoch ein Mitspracherecht, sowohl was die Zukunft der Protonentherapie im Herzen Bayerns als auch was die klinische Forschung und den "evidenzbasierten Umgang mit den Ressourcen des Gesundheitswesens" (DEGRO) betrifft.
Eine prosperierende Stadt wie München sollte eigentlich einen Plan haben, dieses für die optimale Versorgung von Krebspatienten extrem wichtige Protonentherapiezentrum zu erhalten; die berufliche Zukunft der ca. 60 freigestellten Mitarbeiter kommt dem verglichen sicherlich an zweite Stelle.
Ferner ist der RPTC-Fall ein Paradebeispiel dafür, dass im Gesundheitswesen die Privatwirtschaft nicht zwangsläufig besser und effizienter ist. Insbesondere, wenn es sich um einen so sensiblen Bereich, wie die spezialisierte Krebsversorgung geht, kann es nämlich passieren, dass monopolartige Strukturen mit reiner Profitorientierung entstehen, die in die lokale und regionale Klinikstruktur nicht eingebettet werden können.
Und da die Universitätskliniken laut einem aktuellen Statement die Protonentherapie zwar "wissenschaftlich begleiten" würden, aber kein finanzielles Risiko tragen wollen, wäre es nicht Aufgabe der Landeshauptstadt München das Protonentherapiezentrum zu kommunalisieren?
Last but not least, eine rhetorische Frage:
Vor fünf Monaten teilte das Statistische Bundesamt, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen rund 45,3 Milliarden Euro mehr einnahmen, als sie ausgaben.
Warum konnte letztendlich ein Zentrum, das einst über die beste Technologie der Welt verfügte, in einem Land mit 45 Milliarden Haushaltsüberschuss* nicht überleben oder last minute gerettet werden?
Die Landeshauptstadt München und der Staat Bayern waschen ihre Hände in Unschuld, der Initiator und einst Visionär Dr. Rinecker ist untergetaucht, der Insolvenzverwalter Dr. Jaffé zuckt mit den Schultern, die Patienten fühlen sich im Stich gelassen und die ehemaligen RPTC-Angestellten schicken Bewerbungen los.
Und irgendwie so geht das Leben in der bayerischen Metropole weiter…
Ein frohes Neues wünschen
Johanna Panagiotou (aka Victoria Mali) & Dr. med. Thanasis Bagatzounis
Ethno Arts & Health
* Morgen wird der Gesamtjahresabschluss für den deutschen Staat bekannt gegeben. "Auch bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen zusammen rechnet man mit einem dicken Plus", berichtet die SZ.
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